applied heresy I poetologies I marginalia

Antoine Emaz

Vorsichtige Annäherung

 

ausgehend von Cambouis (2009)

Peau (2008) – Plaie (2009) – Limite (2016) …

 

« un travail au blanc,
où le silence, la densité graphique, la restriction à l’essentiel
concourent à cette quête radicale
où les mots appellent le réel… »

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„Diese Notizen anhäufen. Wozu? Ich suche etwas, aber was? Besser verstehen, sich in eine vorgefertigte Ästhetik betten können? Dass es darum nicht geht, ist mir schon klar. Ich schreibe diese Notizen, weil ich grad keine Gedichte schreibe, die diese ästhetischen Fragen wieder im Schrank verschwinden lassen würden. Ich denke über das Gedicht nach, weil ich an seiner Abwesenheit leide. Das ist alles.“ – (Cambouis, S. 60)

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Anfang März 2019 verstarb in Angers ein unausweichlicher Dichter, Antoine Emaz. Er hinterließ ein Werk, das sich jedem bewertenden Adjektiv entzieht. – Wie also darüber sprechen?

Die beste Möglichkeit ist, wie mir scheint, eine langsame, sich über mehrere Monate hinziehende Annäherung. Splitter für Splitter freilegen, ohne jede Eile, bis sich ein hinreichend klares Bild ergibt.

Dabei liegt der Fokus nicht allein auf der allmählichen Genese des Emaz‘schen Werks, sondern auch auf den konkreten Umständen seines Auftreffens in der Welt der Leser.

In Anlehnung an Meschonnic lässt sich sagen: Jedes einzelne Werk oder Gedicht hat seine je eigene Historizität – die Übersetzung und Neukomposition durch den Leser hat eine völlig andere. Hier wird es darum gehen, beide Historizitäten im Auge zu behalten.

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Vorweg: Poezibao hat ein 140 Seiten starkes Dossier zu Antoine Emaz online gestellt. Ein Dokument von unschätzbarem Wert. Das wurde auch dem gehetzten Mitarbeiter des Kopierladens, in dem ich das Konvolut ausdrucken ließ, rasch klar. Er hat mir erzählt, dass er in seiner Schulzeit Französisch gelernt hatte. Beim gemeinsamen Ordnen der Blätter, für das er sich deutlich mehr Zeit als für andere Kopieraufträge nahm, ging ihm die Sprache auf. Für einige Augenblicke waren wir beide vertiefte Emaz-Leser.

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Wovon oder von wem will man sich, wenn es rundum ernst wird, noch durchdringen lassen?

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„Sicher ist, dass ein Gedicht Arbeit an der Sprache ist, aber die treibende Kraft hinter dieser Arbeit ist die Emotion. Sie gebiert ihre Form, fallweise unter Mühen, aber dieser Prozess ist es, der bei mir zum Gedicht führt. Zum Beispiel die Angst, die mir zuerst wortlos den Magen umdreht. Das Gedicht legt es nicht darauf an, sie zu lindern, aber es sagt ihre Bewegung.
Ein Gedicht ist die Sprache einer Emotion, die sprachlos macht. Es geht gegen diese Sprachlosigkeit vor, es ist eine Übung in Hellsichtigkeit und Abklärung. Durch die Worte bekomme ich Zugriff auf das, was mich bedrückt. Die Worte bewirken eine Verschiebung, ich gehe ein wenig auf Distanz, bin nicht mehr völlig eingebunden. Wahrscheinlich schreiben wir weniger, um Schmerzen los zu werden als darum, herauszufinden, worunter genau wir leiden.“ (S. 7)

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„Der Ruhm… Man schreibt, weil man eben schreibt, weil man schreiben muss, um nicht zu ersticken, weil man zuwenig Luft bekommt – ’nicht genug Himmel‘ (Reverdy). Allerdings schadet ein bisschen Anerkennung nicht, allein schon um die Einsamkeit zu kompensieren.“ (S. 8)

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An dieser Stelle von Cambouis trat erstmals in diesem Buch Perre Reverdy in Erscheinung. Und er blieb präsent, auch dort, wo er nicht explizit erwähnt wurde. Emaz und Reverdy, das war Komplizenschaft über die Epochen hinweg. Sich auf Emaz einzulassen, schloss eine Einlassung auf Reverdy mit ein.

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(…)

 

 

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